Fünf Fragen an Wolf Reiner Kriegler zur aktuellen Situation im Employer Branding

Fünf Fragen an Wolf Reiner Kriegler zur aktuellen Situation im Employer Branding

„Recruiting und Personalmarketing sind wie zwei Einbeinige, die sich gegenseitig stützen, wenn Employer Branding fehlt“, sagt Wolf Reiner Kriegler. Der CEO der DEBA Deutsche Employer Branding Akademie erläutert im Interview, weshalb Employer Branding gerade heute so wichtig ist und woran es den meisten Unternehmen mangelt. Und er warnt davor, auf schnelle Erfolge zu setzen.

Frage eins: Herr Kriegler, der Personalbedarf der Unternehmen in Deutschland nimmt deutlich zu und es wird wieder verstärkt rekrutiert. Welche Rolle spielt dabei das Employer Branding?

Wolf Reiner Kriegler: Die meisten würden reflexartig antworten: „Eine riesige Rolle.“ Ich möchte das differenzierter betrachten. Employer Branding ist kein Feuerlöscher, der wirkt, wenn es bei der Mitarbeitersuche brennt. Die Arbeitgebermarke muss eher als Brandmauer angesehen werden, die dazu führt, dass der Flächenbrand nicht erst entsteht. Die Unternehmen, die noch eine Chance haben, Prävention zu betreiben, sind bei Employer Branding goldrichtig. Diejenigen, die nur ihren offenen Vakanzen hinterherhecheln, werden erleben, dass es eine gewisse Zeit braucht, den Arbeitgebermarken-Effekt zu realisieren.

Wer es richtig machen will, muss zunächst Strategie, Identität und Werte entwickeln, also die Wurzel des Baumes stärken. Wenn die Wurzel – das Employer Branding – fehlt, müssen die Unternehmen das Manko mit viel mehr Investitionen in Recruiting oder Personalmarketing wettmachen. Recruiting und Personalmarketing sind wie zwei Einbeinige, die sich gegenseitig stützen, wenn Employer Branding fehlt. Wichtig ist, eine gute Arbeitgeber-Positionierung aufzubauen und zu implementieren – also den Stamm des Baums zu setzen. Dann können Unternehmen mit operativen Maßnahmen in der Krone des Baums viel Wirkung erzielen. Wer dagegen nur Stellenanzeige für Stellenanzeige schaltet, wird auf Dauer nichts bewirken. Arbeitgeber-Markenbildung hat nichts mit Personalmarketing-Kampagnen oder dem Schalten von Stellenanzeigen zu tun, aber sie sorgt für nachhaltige Effekte. Sie ist ein absoluter Wirkungsverstärker für die operativen Aktivitäten.

Frage zwei: Employer Branding ist ein Thema, das die HR-Bereiche in Deutschland seit vielen Jahren begleitet. Wie sind die Unternehmen heute in Sachen Employer Branding aufgestellt?

Wolf Reiner Kriegler: In Deutschland kam das Thema 2006 auf. Schon damals trennte sich die Spreu vom Weizen. Einige wenige Firmen haben Employer Branding als Markenbildung betrachtet, die meisten anderen haben es als Synonym für Personalmarketing verwendet. Jetzt, 15 Jahre später, häufen sich die Anfragen nach Weiterbildung und Beratung rund um Employer Branding. Wir erleben gerade verstärkt, dass vor allem kleinere Unternehmen bei uns anrufen. Doch die großen Unternehmen sind die schlechtesten Vorbilder. Die Dax-30-Unternehmen haben es aus Sicht der Markenwissenschaft nicht geschafft, ein unverwechselbares Bild von sich als Arbeitgeber zu etablieren. Eine aktuelle Studie hat die Arbeitgeberauftritte von 461 Fortune 500 Unternehmen untersucht, über 11.100 Pages gescannt und dabei nach Unterscheidbarkeit gesucht. Danach wurden die Ergebnisse mit Glassdoor verglichen.

Die Studie kam zu dem Schluss, dass es weniger als 20 Prozent der Firmen geschafft haben, ein halbwegs unterscheidbares Bild von sich als Arbeitgeber zu etablieren. Die Studie stellte darüber hinaus fest, dass die Selbstbilder der Arbeitgeberauftritte sich grundlegend von den Darstellungen der Belegschaften in Glassdoor unterscheiden. Das heißt: Der Großteil der Unternehmen positioniert sich völlig austauschbar und scheut sich, seine Ecken und Kanten herauszuarbeiten. Ich selbst habe das auch beobachtet, aber die Studie ist ein wissenschaftlich fundierter Beleg. Die Dax-30-Unternehmen machen im Personalmarketing und Recruiting einen richtig guten Job. Aber wenn dort immer nur Hochglanz-Personalmarketing passiert und technisch ausgefeiltes Recruiting, dann ist das weit davon entfernt, Employer Branding zu sein.

Frage drei: Was gilt es nun zu tun? Wie wichtig sind Identitätsbildung und Gestaltung der Unternehmenskultur?

Wolf Reiner Kriegler: Das ist Employer Branding. Es gibt viele Definitionen. Unsere lautet: „Employer Branding ist in erster Linie ein Prozess der Identitäts- und damit der Organisationsentwicklung – damit immer auch der Kultur und der Werte. Es ist nur am Rande, und vor allem nach außen, ein Prozess des Marketings.“ Die meisten Budgets der Unternehmen gehen ins Personalmarketing. Doch Arbeitgebermarken entstehen nicht über Marketing. Da besteht ein großer Unterschied zum Product Branding. Die Produktmarke – ob Limonade oder Waschmittel – wird stark geprägt vom Marketing, aber bei der Unternehmensmarke ist das nicht der Fall. Der große Denkfehler ist, dass viele Unternehmen die Gesetzmäßigkeiten von Product Branding auf das Employer Branding anwenden. Die Arbeitgebermarke muss aus der Corporate Brand heraus entwickelt werden und das ist in beiden Fällen ein identitätsbasiertes Markenmanagement. Das muss von Innen kommen: Wie arbeiten Menschen zusammen? Wie ist die Meeting-Kultur geprägt?

All das entscheidet darüber, ob sich jemand bei seinem Arbeitgeber wohl oder unwohl fühlt. Die Identifikation mit Werten und Kultur des Arbeitgebers sorgt dafür, dass die Arbeit erfüllend für die Beschäftigten ist, dass der Krankenstand sinkt und die Produktivität steigt. Das sind alles interne Dimensionen, deshalb kann eine gute Arbeitgeber-Positionierung nur aus der Organisationskultur heraus entwickelt werden. Es ist gar nicht so wichtig, wie Wettbewerber sich positionieren. 

Frage vier: Können digitale Tools dazu beitragen, die Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Unternehmen zu stärken?

Wolf Reiner Kriegler: In einer Welt, die durch Corona in Richtung Remote Work und Homeoffice geschoben wurde und in der deutlich mehr Distanzierung vorherrscht als noch vor zwei Jahren, kann und muss eine digitale Plattform die Verbundenheit unterstützen. Die Verbundenheit speist sich daraus, dass sich alle Beschäftigten ein Stück weit mit den Werten des Unternehmens identifizieren. Sie verbindet das gemeinsame Commitment auf diese Werthaltungen. Durch das, woran sie sich festhalten können, entsteht emotionale Zugehörigkeit. Und wer sich zugehörig fühlt, muss den Kolleginnen und Kollegen nicht unbedingt physisch nah sein. Ich bin mir sicher, dass Software und digitale Tools dafür einen wichtigen Beitrag leisten können – und es in der aktuellen Zeit der physischen Distanz auch müssen. In eine Employee Experience Plattform, die die Identität und Verbundenheit stärkt, würde ich sofort investieren.

Frage fünf: Was sind die Zukunftsthemen? In welche Richtung werden oder müssen sich die Instrumente oder Botschaften von Employer Branding verändern?

Wolf Reiner Kriegler: Die Zukunftsthemen sind leider genau die gleichen Themen wie vor 15 Jahren. Wichtig ist, dass die Unternehmen das herauskristallisieren, was sie als Arbeitgeber auszeichnet. Alles anderes greift zu kurz und baut auf Sand, wenn die gesunde Wurzel einer identifikationsstiftenden, differenzierenden Arbeitgeberpositionierung nicht vorhanden ist. Durch Corona ist noch deutlicher geworden, dass der Blick nach innen wichtig ist. Wie wollen die Unternehmen noch neue Mitarbeitende finden?

Recruiting ist längst Abwerben geworden: Ich nehme dir die Leute weg, dann nimmst du sie mir wieder weg. Das ist weder werteorientiert, noch nachhaltig. Wichtig ist es, nach innen zu arbeiten. Ein Invest in die Identität ist aus meiner Sicht die einzige funktionierende Immunisierung im Fachkräftemangel – erstens, um die Mitarbeitenden vom Abwandern abzuhalten, und zweitens, um die Belegschaft zu stärken und zu mehr Produktivität anzuregen. Leistungsbereitschaft entsteht aus Identifikation, nicht aus Anreiz. Ebenso sind Mitarbeiterempfehlungen nur dann erfolgreich, wenn ich gute Markenbotschafter habe, die sich intrinsisch motiviert für mich als Arbeitgeber einsetzen. Und das entsteht nur durch Employer Branding.

Wolf Reiner Kriegler ist Pionier des Employer Brandings im deutschsprachigen Raum, Speaker und Autor des Buchs „Praxishandbuch Employer Branding“. 2006 gründete er die DEBA GmbH, die er seitdem leitet. Die DEBA bietet Beratung, Umsetzung und Weiterbildung an, unter anderem einen Zertifikatskurs Employer Brand Manager.